Ein wichtiges Scharnier der S Bahn-Ausschreibung ist der Aufbau eines sogenannten landeseigenen Fahrzeugpools. Befürworter*innen preisen ihn als Schritt Richtung Kommunalisierung der S Bahn. Tatsächlich erleichtert er aber deren Privatisierung.
| von Jorinde Schulz
Die Länder Berlin und Brandenburg möchten 1.308 Wagen für die S Bahn-Netze Nord-Süd und Stadtbahn kaufen, mit der Option auf 852 weitere Fahrzeuge. Die Beschaffung kostet um die drei Milliarden Euro und stellt damit einen gewichtigen Teil der S Bahn-Ausschreibung dar. Neu ist, dass die Wagen nicht mehr wie bisher dem Betreiber der S Bahn gehören sollen, sondern dem Land Berlin. Politiker*innen des Abgeordnetenhauses sprechen daher von einem neuen »kommunalen Fuhrpark«, der die Weichenstellung zur kommunalen S Bahn sei.
Die Art und Weise, wie die Anschaffung organisiert ist, lässt aber Zweifel daran aufkommen. Per Errichtungsgesetz hat das Berliner Abgeordnetenhaus eine Landesanstalt Schienenfahrzeuge gegründet, die die Wagen erwerben soll. Allerdings sollen die angeschafften Fahrzeuge für ihre gesamte Lebensdauer an das Unternehmen abgegeben werden, das die S Bahn zukünftig wartet – eventuell also an ein privates Unternehmen. Die Betätigung der Landesanstalt, so das Gesetz, beschränkt sich »auf die Verwaltung und Nutzungsüberlassung des erworbenen Vermögens an Dritte als Betreiber; eine eigene aktive Betätigung im Schienenpersonennahverkehr oder in der Durchführung von Service- oder Werkstattleistungen für die Fahrzeuge findet nicht statt«. So »gehören« der Landesanstalt die Fahrzeuge zwar, und sie bezahlt auch den Kaufpreis, hat aber dann bis zur Verschrottung nichts mehr mit ihnen zu tun. Nur sehr bedingt kann man hier von öffentlichem Eigentum sprechen – die Konstruktion ist vielmehr eine öffentlich-private Partnerschaft, wie man sie aus dem Autobahnbau kennt.
Das ist kein Zufall. Die Landesanstalt erleichtert den Einstieg für private Betreiber. Die Berliner S Bahn ist ein einzigartiges System mit maßgeschneiderten Fahrzeugen, die sich derzeit im Besitz der S Bahn GmbH befinden. Die Beschaffung geeigneter Fahrzeuge stellt daher für eventuelle neue Betreiber eine Hürde dar. Diese wird mit der Einrichtung des »landeseigenen Fahrzeugpools« beseitigt. Damit entfällt ein wichtiger Vorteil für die S Bahn Berlin, die aktuell (noch) das gesamte System betreibt. Privatisierung und Zerschlagung werden wahrscheinlicher. Es handelt sich also nicht um einen ersten Schritt zur Kommunalisierung, sondern um eine Öffnung des S Bahn-Betriebs für Private.
Genau deswegen gab es in der parlamentarischen Debatte zur Landesanstalt Schienenfahrzeuge auch Lob von der FDP zum Fahrzeugpool. So äußerte der Abgeordnete Henner Schmidt sich zufrieden über die neue Landesanstalt. Diese sei wesentlich zur Sicherung des Wettbewerbs, da der aktuelle Betreiber sonst einen Vorteil bei der nächsten Ausschreibung hätte. Ähnlich lautet das Argument in den Beschlussunterlagen für das Errichtungsgesetz. Beim »kommunalen Fuhrpark« geht es nicht um Rückgewinnung der S Bahn – es geht um Wettbewerbsförderung auf Kosten des Landes.
Eine ernstgemeinte Kommunalisierung sieht anders aus. Dazu wäre es zunächst notwendig, aus einer Ausschreibung auszusteigen, welche die Einheit des Berliner S Bahn-Netzes aufs Spiel setzt und damit den Weg zu einer integrierten S Bahn in öffentlicher Hand versperrt. Für die Kommunalisierung der S Bahn kann beispielsweise ein kommunaler Träger aufgebaut werden, der sämtliche Aufgaben der S Bahn übernimmt und an den eine Direktvergabe des Betriebs, der Wagenbeschaffung und Instandhaltung möglich ist.
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Sollbruchstelle: Netz-Dreiteiler
2012 beschloss das Abgeordnetenhaus die Dreiteilung des S-Bahn-Netzes und schrieb den Ring mit Strecken im Südosten separat aus. 2021 hätte das Netz wieder zusammengeführt werden können. Stattdessen begann 2020 die nächste Ausschreibung.
Verkehrsvertrag Ring
(Stand: 09.02.2021)
Laufzeit: 01.01.2021 – 31.12.2035
Betreiber: S-Bahn Berlin GmbH
S-Bahn-Linien: S41 (Ring) und S42 (Ring); S46, S47 und S8
Wettbewerbslos Nord-Süd-Bahn
(Stand: 09.02.2021)
Laufzeit: 2027 – 2042 (gestaffelt)
Betreiber: offen
S-Bahn-Linien: S1, S2, S25, S8, S85, S86 und S15
Wettbewerbslos Stadtbahn
(Stand: 09.02.2021)
Laufzeit: 2028 – 2043 (gestaffelt)
Betreiber: offen
S-Bahn-Linien: S3, S5, S7, S75, S9
Grafik: Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE, 2021
Copyright und Erstveröffentlichung in: Sonderzeitung gegen die Berliner S-Bahn-Privatisierung, herausgegeben vom Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE als taz-Beilage am 22. Juni 2021, www.eine-s-bahn-fuer-alle.de